Eine Baugenossenschaft ist eine kooperative Form eines Wohnungsunternehmens. Weitere Synonyme sind Wohnungsbaugenossenschaft, Wohnungsgenossenschaft, Siedlungsgenossenschaft, Mietergenossenschaft oder Bauverein.
Eine Baugenossenschaft verfolgt in der Regel als oberste Ziele, Wohnraum preisgünstig anzubieten und den Mietern die Wohnung langfristig zur Verfügung zu stellen (lebenslanges Wohnrecht). Daneben gibt es noch weitere Vorteile von Baugenossenschaften.
Baugenossenschaft v. private Wohnungsunternehmen
Baugenossenschaften unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen. Sie basieren auf den Prinzipien einer genossenschaftlichen Solidargemeinschaft, die auf Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Selbstbestimmung und Selbstverwaltung aufbauen. Diese Idee prägt das Wesen und die Funktionsweise von Baugenossenschaften.
Wichtigste Unterschiede Baugenossenschaft vs privates Wohnungsunternehmen
Baugenossenschaft | Private Wohnungsunternehmen | |
Kaution | Nein | Ja |
Miteigentümer | Ja | Nein |
Lebenslanges Wohnrecht | Ja | Nein |
Mitbestimmung | Ja | Nein |
Renditeorientierung | Nein | Ja |
Wie ist eine Baugenossenschaft aufgebaut?
Eine Baugenossenschaft hat gleich mehrere Organe:
- Mitglieder der Genossenschaft
- Vertreter
- Aufsichtsrat
- Vorstand
- Beiräte
Grundgedanken des genossenschaftlichen Wohnens
Genossenschaftliches Wohnen verfolgt bestimmte Grundgedanken, die die Basis für das genossenschaftliche Zusammenleben bilden. Die Grundgedanken basieren häufig auf diesen fünf Säulen:
- Selbsthilfe
- Selbstverantwortung
- Selbstbestimmung
- Selbstverwaltung
- Solidarität
Genossenschaftsmitglieder
Genossenschaftsmitglieder haben ein Stimmrecht, welches sie auf der einmal jährlich stattfindenden Generalversammlung nutzen dürfen. Denn auf der Generalversammlung einer Genossenschaft kann jedes Mitglied sein Recht auf Mitbestimmung nutzen.
Dazu gehören zum Beispiel die Wahl des Aufsichtsrates, Ausschüttung von Dividenden oder Änderungen in der Satzung. Dabei gibt aber eine Ausnahme: Hat die Genossenschaft mehr als 1.500 Mitglieder, darf die Generalversammlung laut Gesetz in Form einer Vertreterversammlung abgehalten werden.
Vertreter der Genossenschaftsmitglieder
In größeren Baugenossenschaften mit einer Mitgliederzahl von mehr als 1.500 kann die Generalversammlung auch in Form einer Vertreterversammlung abgehalten werden. Bei einer Vertreterversammlung wählen die Mitglieder Vertreter für bestimmte Gebiete, die sie auf der Generalversammlung repräsentieren und sich dort für ihre Interessen einsetzen sollen.
Die Einrichtung einer Vertreterversammlung ermöglicht es, den organisatorischen Ablauf der Generalversammlung effizienter zu gestalten und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Anliegen aller Mitglieder angemessen berücksichtigt werden. Durch die Wahl von Vertretern für verschiedene Gebiete oder Gruppen kann eine breitere Vielfalt an Perspektiven und Erfahrungen in die Entscheidungsprozesse der Genossenschaft eingebracht werden.
Damit eine Vertreterversammlung stattfinden kann, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss die Baugenossenschaft eine Mindestanzahl von 1.500 Mitgliedern haben, um eine ausreichende Repräsentation sicherzustellen. Zweitens muss die Einrichtung einer Vertreterversammlung in der Satzung der Baugenossenschaft explizit vorgesehen sein. In der Satzung werden dann weitere Regelungen festgelegt, wie die Wahl der Vertreter, die Amtszeit und die Aufgaben der Vertreterversammlung.
Aufsichtsrat einer Wohnungsbaugenossenschaft
Die Hauptaufgabe des Aufsichtsrats besteht darin, den Vorstand zu überwachen und sicherzustellen, dass er die Interessen der Genossenschaft und ihrer Mitglieder wahrnimmt. Er muss aus mindestens drei Mitgliedern bestehen. Der Aufsichtsrat prüft die Geschäftsführung, überwacht die Umsetzung der genossenschaftlichen Ziele und kontrolliert die finanzielle Situation der Baugenossenschaft. Dadurch gewährleistet er Transparenz und gute Unternehmensführung.
Je nach Satzung der Baugenossenschaft können dem Aufsichtsrat auch weitere Aufgaben und Verantwortlichkeiten übertragen werden. Dies kann beispielsweise die Prüfung von Jahresabschlüssen, die Genehmigung von Investitionen oder die Festlegung von strategischen Zielen umfassen. Die genaue Ausgestaltung der Aufgaben des Aufsichtsrats wird in der Satzung der Baugenossenschaft festgelegt.
Der Aufsichtsrat spielt eine wichtige Rolle bei der demokratischen Mitbestimmung und Entscheidungsfindung in einer Baugenossenschaft. Durch seine Überwachungsfunktion trägt er zur Stabilität und Nachhaltigkeit der Genossenschaft bei.
Vorstand einer Baugenossenschaft
Der Vorstand einer Baugenossenschaft übernimmt die Geschäftsleitung und vertritt die Genossenschaft rechtlich. In der Regel besteht der Vorstand aus zwei Mitgliedern, die von der Generalversammlung gewählt und bei Bedarf auch abberufen werden können. Bei kleineren Genossenschaften mit weniger als 20 Mitgliedern kann es jedoch ausreichen, nur ein Vorstandsmitglied zu bestimmen.
Die geschäftlichen Befugnisse der Vorstandsmitglieder werden durch die Satzung der Baugenossenschaft festgelegt. Die Satzung legt die genauen Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Befugnisse des Vorstands fest, um einen klaren Rahmen für die Geschäftsleitung zu schaffen. Dies umfasst beispielsweise die Entscheidungsbefugnis bei Vertragsabschlüssen, die Vertretung der Genossenschaft nach außen hin, die Budgetplanung und die strategische Ausrichtung der Genossenschaft.
Die Vorstandsmitglieder tragen eine große Verantwortung für die effektive und nachhaltige Führung der Baugenossenschaft. Sie treffen wichtige unternehmerische Entscheidungen im Sinne der Genossenschaft und sind für die ordnungsgemäße Verwaltung der finanziellen, rechtlichen und operativen Angelegenheiten verantwortlich.
Die Bestimmungen bezüglich des Vorstands dienen dazu, die Kompetenzen und Pflichten der Vorstandsmitglieder klar zu definieren und gleichzeitig sicherzustellen, dass die Interessen der Genossenschaft und ihrer Mitglieder gewahrt werden.
Beirat einer Wohnungsbaugenossenschaft
In einer Baugenossenschaft kann die Satzung auch die Möglichkeit vorsehen, Beiräte zu beschäftigen. Beiräte sind zusätzliche Gremien, die den reibungslosen Geschäftsbetrieb des Unternehmens unterstützen sollen. Sie werden in der Regel von den Mitgliedern der Baugenossenschaft gewählt und bringen ihre Expertise und Erfahrung in bestimmten Bereichen ein.
Baugenossenschaften und ihre Geschichte in Deutschland
In der Mitte des 19. Jahrhunderts zog die Industrialisierung immer mehr Menschen in die deutschen Städte. Der Bau von Wohnungen konnte mit der drastischen Nachfrage nicht mehr mithalten. Steigende Mieten und Überbelegung der Wohnungen waren die Folge. Die damaligen Lebensbedingungen der Stadtbewohner verschlechterten sich dadurch erheblich.
Zum Ende der 1860er entschied sich der Norddeutsche Bund für ein erstes Genossenschaftsgesetz, der den Weg zum kooperativen Wohnungsbau ebenen sollte. Die Anzahl der Genossenschaftsgründungen blieb aber weit unter den Erwartungen zurück. Das Gesetz hatte nämlich einen Haken: die unbeschränkte Haftung bei einer Pleite. Die unbeschränkte Haftung mit dem eigenen Vermögen hielt viele potenzielle Gründer ab.
Anfang der 1870er verschlechterte sich die gute wirtschaftliche Lage in Deutschland durch den Wiener Börsenkrach (1873) auf einen Schlag. Die darauffolgenden Jahre waren stark von Armut gekennzeichnet. Die miserable Wohnsituation in den Städten führte zu drohenden sozialen Unruhen.
Ende des 19. Jahrhunderts neue Rahmenbedingungen für Genossenschaften
Schließlich trat im Jahr 1889 das neue Genossenschaftsgesetz (GenG) in Kraft. Dies ermöglichte die Genossenschaftsgründung mit der Möglichkeit einer Haftungsbeschränkung der Mitglieder.
Gleichzeitig wurde das Sozialversicherungsgesetz geändert. Es ermöglichte den Genossenschaften und der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft allgemein nun eine einfachere Kreditaufnahme zu günstigen Konditionen. Die Kredite wurden von den Versicherungsanstalten vergeben.
Die Anzahl der Baugenossenschaften in Deutschland stieg daraufhin innerhalb von nur zwei Jahrzehnten auf mehr als 1.400 Baugenossenschaften an.
Baugenossenschaft nach dem Ersten Weltkrieg
Nach dem Ersten Weltkrieg spielten Baugenossenschaften eine wichtige Rolle bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und der sozialen Stabilisierung in vielen Ländern. Durch die Zerstörung und den Mangel an Wohnraum nach dem Krieg entstanden zahlreiche Baugenossenschaften, um den Bedarf an Wohnungen für die Bevölkerung zu decken.
In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg erlebten Baugenossenschaften einen starken Aufschwung und prägten die Wohnungsbaulandschaft nachhaltig. Sie waren ein wichtiges Instrument, um die sozialen Folgen des Krieges zu mildern und den Menschen eine stabile und bezahlbare Wohnsituation zu bieten.
Genossenschaftsidee ist heute UNESCO Kulturerbe
Im Jahr 2016 wurde die Genossenschaftsidee von der UNESCO schließlich als erster deutscher Beitrag in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.
Rund um den Globus gibt es mittlerweile etwa 800 Millionen Genossenschaftsmitglieder in mehr als 100 Länder und davon fast 21 Millionen Genossenschaftsmitglieder in Deutschland. Jeder vierte Bundesbürger ist somit Mitglied in einer Genossenschaft.
Sonderform Baugenossenschaft: Beamten-Wohnungsverein
Beamten-Wohnungsvereine dienten lediglich Beamten und höher Bediensteten sowie deren Angehörigen. Auch hier waren die Mieten der Wohnungen preiswert, aber zumeist befanden sich die Immobilien in besseren Wohnlagen. Hinsichtlich der Bauarchitektur, Ausstattung und Komfort der Wohnungen unterschieden sich die Häuser der Beamten-Wohnungsvereine von den Baugenossenschaften für Arbeiter deutlich.
Sonderform Baugenossenschaft: AWG in der DDR
Im Vergleich zum Modell der gemeinnützigen Baugenossenschaften wurde in der DDR eine andere Form Baugenossenschaft gefördert: die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften (kurz AWG).